»Ich möchte anderen zuhören. Ich möchte, dass sie mir sagen, was sie fühlen und sehen. Andere in den Designprozess einzubeziehen – das ist eine wunderbare Sache.«

Interview mit Martin Lotti

Der aus der Schweiz stammende Chief Design Officer von Nike, Martin Lotti, ist eine transformative Kraft in der Designwelt. Er verantwortet bei Nike  ein breites Spektrum an Designprojekten: von innovativen Schuhen und Kleidungsstücken bis hin zu umfassenden Marken- und Verkaufskonzepten.

VDM:

Was war Ihre erste Begegnung mit Nike?

Martin Lotti:

Als Austauschschüler brachte mich meine Gastfamilie zu Niketown in Portland. Ich betrat den Laden und verliess ihn dann völlig frustriert wieder. Alles darin wollte ich haben. Also setzte ich mich hin und zählte mein Geld. Was kann ich mir leisten? Dann ging ich in den Laden zurück und kaufte ein Paar Air Max 180 und ein Jordan-Wings-Poster.Nie hätte ich mir vorstellen können, dass ich Jahre später den nächsten Air Max entwerfen würde.

Es war ein ziemlicher Weg dorthin. Nike wirft dich immer wieder ins kalte Wasser. Sie sagen einem: »Just Do It!« Das ist nicht einfach nur ein Slogan. Es ist eine Arbeitsweise, eine Lebensphilosophie.

VDM:

Eines Ihrer größten Projekte bei Nike war im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen 2012 in London. Woran sich dabei jede und jeder erinnert, ist die Einführung einer leuchtend gelben, unverwechselbaren Farbe namens Volt quer durch sämtliche Sportarten.

Martin Lotti:

Es ist eine Geschichte darüber, wie man mit begrenzten Mitteln viel Wirkung erzeugen kann. Nike gehörte nicht zu den Sponsoren der Veranstaltung, daher mussten wir uns an viele Regeln und Vorschriften halten. Man kann das als Einschränkung sehen, aber ich bin der festen Überzeugung, dass Grenzen DesignerInnen dazu zwingen, kreativer zu werden. Ich dachte mir: Was wäre, wenn wir über alle Verbände hinweg nur eine einzige Farbe einsetzen würden, und zwar eine, die am meisten ins Auge fällt? Nun, das ist diese Farbe, Volt. Sie entspricht der einer fluoreszierenden Sicherheitsjacke.

Klassischerweise hätte der Ansatz darin bestanden, Kleidung und Schuhe aufeinander abzustimmen. 

VDM:

Wenn Sie auf Ihre Zeit im Unternehmen zurückblicken, worin lag Ihrer Meinung nach der Hauptantrieb für Veränderungen?

Martin Lotti:

Ob Sie es glauben oder nicht, wahrscheinlich ist mehr gleich geblieben als das sich verändert hat. Die Methodik hat sich im Laufe der Jahre eigentlich nicht verändert. Die SportlerInnen fordern uns genauso, wie sie auch sich selbst fordern. Dazu kommt der emotionale Aspekt: Vor Michael Jordan spielten die Leute Basketball, nach MJ lebten sie Basketball. Diese Wechselwirkung  zwischen Leistung und Emotion gab es schon immer.

Was sich jedoch geändert hat, sind die Werkzeuge. Als ich anfing, haben wir unsere Muster an die Fabriken gefaxt, jetzt können wir sie in 3-D entwerfen. Früher hat man zuerst etwas gezeichnet, dann musste man es an eine Fabrik schicken, dort wurde es hergestellt und kam wieder zurück. Es war ein ziemliches Hin und Her und eine zeitliche Einschränkung. Jetzt liegt die einzige Barriere in den Grenzen der eigenen Vorstellungskraft.

VDM:

Wie bringen Sie bei Ihrer Arbeit digitale und physische Elemente in Einklang?

Martin Lotti:

Je digitaler man wird, desto physischer muss man auch vorgehen. Zumindest ist das meine Meinung. Ich finde das Nebeneinander beider Welten interessant: Wenn man nur digital arbeitet, fühlt es sich irgendwann richtig kalt an. Man geht also von beiden Enden des Spektrums aus und trifft sich dann irgendwo dazwischen. Es beginnt bei einem Problem, das man zu lösen versucht, indem man den SportlerInnen zuhört, kulturelle Einflüsse mit einbringt, sich inspirieren lässt und es dann mittels digitaler und physischer Werkzeuge sichtbar macht... um die Leistungsziele der SportlerInnen wahr werden zu lassen.

VDM:

Eine letzte Frage: Inwieweit ist das Designen für Nike Ihrer Meinung nach mit Automobildesign, Möbeldesign, Mode und Innenarchitektur vergleichbar?

Martin Lotti:

Ich glaube, dass es da viele Gemeinsamkeiten gibt. Meiner Ansicht nach sind gute DesignerInnen auch gute ZuhörerInnen. Man muss ein Konzept liefern, das Produkt entwerfen und dann eine Geschichte dazu erzählen. Ich wage zu behaupten, dass die Gestaltungsprinzipien mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede aufweisen. Denn letztendlich geht es darum, ein funktionales und dennoch emotionales Produkt zu erschaffen, in das man sich verlieben kann.